Dienstag, 22. Oktober 2019

Müssen Genossenschaften staatlich geschützt werden?

Aktuell sind bei der BaFin wieder mehrere Auskunftsersuchen an Genossenschaften anhängig, ob von diesen Genossenschaften gegen das Vermögensanlagegesetz verstoßen worden ist. Gemäß § 2 VermAnlG gibt es Ausnahmen für einzelne Arten von Vermögensanlagen. Diese sind nach Absatz (1):  Die §§ 5a bis 26 mit Ausnahme von § 18 Absatz 2 und 3 sowie § 19 Absatz 1 Nummer 3 und 4 dieses Gesetzes sind nicht anzuwenden auf: „Anteile an einer Genossenschaft im Sinne des § 1 des Genossenschaftsgesetzes, wenn für den Vertrieb der Anteile keine erfolgsabhängige Vergütung gezahlt wird“ Jetzt wird es interessant. Die Genossenschaft darf ihre Anteile – Genossenschaftsanteile sind hier sicher gemeint – nicht vertrieblich einwerben. Soweit so gut, obwohl auch das schon eine unbotmäßige Einschränkung der genossenschaftlichen Selbstbestimmung darstellt.   
 
Bisher wurde darunter verstanden, dass ein Vertrieb, demzufolge eine von der Genossenschaft fremde Gesellschaft oder Einzelpersonen, die über die notwendigen Zulassungen - § 34 f (3) GewO - verfügen und nach Erfolg, d.h. in Abhängigkeit von der Anzahl der eingeworbenen Anteile über Provisionen oder Honorare vergütet werden. Das scheint vor dem Hintergrund aktueller Prüffälle, die dem Autor bekannt sind, nicht mehr so zu sein. 
 
Diese zeigen, dass die BaFin in meiner Meinung nach ungerechtfertigter Art und Weise, das Vermögensanlagegesetz verballhornt. Derzeit werden von der BaFin die Ausnahmetatbestände gekippt, wenn die Genossenschaft:
 
• das alte genossenschaftliche Prinzip „Mitglieder werben Mitglieder“ einsetzt und den werbenden Mitgliedern eine pauschale Prämie zahlt. Zum Beispiel 50 € pro geworbenes Mitglied oder
• die Genossenschaft angestellte Mitarbeiter beschäftigt, deren Aufgabe es ist, Mitglieder zu werben. 
 
Wie können, insbesondere junge Genossenschaften ihr Eigenkapital aufbauen, wenn Ihnen die klassischen Instrumente der Mitgliederwerbung durch staatliche Restriktionen entzogen werden? Wie wollen junge Wohnungsgenossenschaften ihre Immobilien finanzieren? Nur mit den Pflichteinteile der dann darin wohnen Mitglieder? Ein Witz vor der aktuellen Wohnungssituation in Deutschland!
     
Dazu passt eine Bundesratsinitiative des Landes Brandenburg von Ende 2018 mit dem Ziel der Änderung des Genossenschaftsgesetzes. Darin sollen die genossenschaftlichen Prüfungsverbände verpflichtet werden, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unverzüglich über mögliche Verstöße von geprüften Genossenschaften gegen das Kapitalanlagegesetzbuch oder gegen das Vermögensanlagengesetz zu informieren, damit die BaFin aufgrund dieser Hinweise tätig werden kann. Daneben soll auch den Behörden zur Beaufsichtigung der genossenschaftlichen Prüfungsverbände die Möglichkeit eingeräumt werden, der BaFin Verstöße gegen das Kapitalanlagegesetzbuch oder das Vermögensanlagengesetz anzuzeigen, die ihnen im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit bekannt geworden sind. 
Die gewünschte Gesetzesänderung schafft ein Sonderrecht für Genossenschaften, das in solcher Form bei anderen Rechtsformen, die mutmaßlich sehr viel häufiger von zum Teil kriminellen Missbräuchen betroffen sind, nicht besteht! Der Missbrauch genossenschaftlicher Rechtsformen ist aber vor dem Gesamthintergrund des grauen Kapitalmarktes und der dortigen "Kriminalität" nur ein sehr kleiner Ausschnitt. Wenn hier eine "Meldepflicht" eingeführt wird, muss gleiches auch für Wirtschaftsprüfer und Steuerberater erfolgen, die Unternehmen in anderen Rechtsformen betreuen, wenn dort im Rahmen ihrer Tätigkeit strafbare Handlungen des Unternehmens festgestellt werden!
  
Neu gefasst werden soll § 62 Abs. 3 Satz 2 GenG. Dazu muss angemerkt werden, dass § 62 Abs. 3 Satz 2 GenG in der aktuellen Fassung erst etwa zwei Jahre gilt. Dieser soll durch den Gesetzesentwurf erneut geändert werden. Dabei muss auch bedacht werden, dass die Möglichkeiten der Entdeckung von Missständen im Rahmen von Prüfungen nach § 53 I GenG nur begrenzt sind. Solche Prüfungen finden nachträglich und im Regelfall nur alle 2 Jahre statt. Soweit Kleingenossenschaften betroffen sind, ist zudem eine Vor-Ort-Prüfung nach § 53a GenG nur in jedem zweiten Fall – also ggf. nach 4 Jahren vorgesehen. Durch die Gesetzesänderung würde daher vermutlich allenfalls ein geringfügiger Fortschritt erzielt werden können. Die Durchbrechung der Verschwiegenheitsverpflichtung einer Prüfungsinstanz muss ein enger Ausnahmefall bleiben, da die Vertraulichkeit von Mandanteninformationen eine zentrale Grundlage der Arbeit aller Wirtschaftsprüfer und ähnlicher Berufe ist!
Gegenüber der aktuellen Fassung würde statt einer Ermessensentscheidung des Prüfungsverbands eine Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung von Informationen an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eingeführt. Ein Abwarten auf Ebene des Prüfungsverbandes wäre durch das Einfügen des Wortes "unverzüglich" nicht mehr möglich. Nach dem jetzigen Wortlaut ist die Meldung an die BaFin die Ultima Ratio, wenn die Genossenschaft von sich aus nicht zu zulässigen Geschäftszwecken zurückkehrt. Dieses stufenweise Vorgehen würde dem Prüfungsverband genommen! Gleichwohl soll er ausweislich der Begründung die betroffene Genossenschaft weiterhin vollumfänglich zur Einhaltung eines zulässigen Geschäftsgebarens anhalten. In Fällen besonderer Dringlichkeit - also bei zu erwartenden Schäden für die Mitglieder ergibt sich bereits nach der derzeit gültigen Regelung eine Pflicht zur Weitergabe. Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, warum eine generelle Pflicht zur Informationsweitergabe im Gesetz verankert werden soll. Es stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit, da es sich bei § 62 Abs. 3 S. 2 GenG um eine Ausnahmevorschrift zur Durchbrechung der Verschwiegenheit des Prüfungsverbandes handelt. Bei der Weitergabe durch die Staatsaufsicht nach § 64 Abs. 4 GenG n. F. soll der Aufsichtsbehörde ein Ermessen zustehen. Vor diesem Hintergrund sollte es bei der gültigen Regelung bleiben.
 
Unsere genossenschaftlichen Vordenker Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze aus Delitzsch sprachen von Genossenschaften als selbstbestimmende und selbstverwaltende Kooperationen mit Selbstkontrolle in der genossenschaftlichen Organisation bei maximaler Staatsferne. Davon scheinen wir immer weiter weg zu kommen. 
 
 


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