Dienstag, 5. November 2019

Warum Genossenschaften so beliebt sind

Vor zehn Jahren galten kooperative Unternehmensmodelle als antiquiert, heute liegen sie im Trend. Nicht nur Mitbestimmung und soziales Wirtschaften sind wieder gefragt. Völlig risikofrei sind Genossenschaften trotzdem nicht.
Engagierte Bürger, die gemeinsam etwas erreichen wollen, müssen sich irgendwann entscheiden, wie sie ihr Projekt betreiben wollen. Um einen Tante-Emma-Laden im Quartier zu erhalten, eine Eissporthalle zu betreiben oder ein Carsharing-Projekt zu verwirklichen, ist häufig statt GmbH oder Verein die Genossenschaft das unternehmerische Instrument der Wahl.  
Beispiel Altötting in Bayern. Dort wollten die Bürger ihren eigenen Strom erzeugen, Bürgerstrom, um die Energiewende zu unterstützen. Das Projekt sollte möglichst breit in der Bevölkerung verankert sein. Gleichzeitig sollte die alte Herrenmühle reaktiviert und energetisch saniert werden. Nach sorgfältiger Prüfung gründete die Initiative 2013 mit 153 Mitgliedern die Energiegenossenschaft Inn-Salzach eG (Egis). Der Preis pro Anteil wurde auf 150 Euro festgesetzt. Insgesamt wurden seither über 21.000 Anteile ausgegeben. Mit den rund drei Millionen Euro wurden die Bürgerstrom-Projekte finanziert.
Heute hat das Unternehmen 722 Genossen und produziert pro Jahr mit Photovoltaikanlagen und Wasserkraft über 14 Millionen Kilowattstunden Strom, was dem Verbrauch von 4102 Haushalten entspricht. Neben der Herrenmühle hat die Genossenschaft acht weitere Projekte verwirklicht, darunter die im Jahr 2016 größte Photovoltaik-Dachanlage in Europa. Der Bilanzgewinn betrug im vergangenen Jahr 143.000 Euro, die Dividende pro Anteil 3,72 Prozent.

Klare Vorteile

Die Vorteile dieser Unternehmensform liegen für Egis-Vorstand Pascal Lang klar auf der Hand: "Sie ist ideal geeignet, um viele Leute am Projekt zu beteiligen, ohne dauernd zum Notar rennen zu müssen." Bei einer GmbH müsste die Ausweitung des Gesellschafterkreises von einem Notar abgewickelt werden. Einer Genossenschaft tritt man dagegen einfach bei. Und trotz einer relativ großen Anzahl von Mitgliedern ist die Egis flexibel genug, um kleinere Stromprojekte effektiv und zügig zu verwirklichen. "Wir haben kurze Entscheidungswege, Vorstand und Aufsichtsrat beschließen die Projekte", so Lang weiter.
Wegen ihrer Dividende von drei bis vier Prozent sind die Egis-Anteile sehr begehrt. Handel ist mit ihnen jedoch nicht möglich, denn die Anteile sind allein den Mitgliedern vorbehalten. Neue Genossen können derzeit nur fünf Anteile erwerben. Erst wenn wieder ein neues Projekt zur Finanzierung ansteht, lockert die Egis diese Grenze.

Der Unterschied macht's

Genau das unterscheidet eine Genossenschaft von anderen Unternehmen: Sie ist nicht an der Gewinnmaximierung interessiert, sondern an der Nutzenmaximierung für die Mitglieder. Durch den gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb werden die Mitglieder wirtschaftlich gefördert. Sie sind zugleich Eigentümer und Kunden. Das war die Idee von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch, die 1847 die genossenschaftliche Idee in Deutschland etablierten, um die notleidende Bevölkerung zu unterstützen. Die Grundsätze Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung gelten bis heute. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass daneben auch eine betriebswirtschaftlich effiziente Geschäftsführung notwendig ist, damit sich das Unternehmen am Markt behaupten kann.
Ein weiterer Unterschied ist die Sicherheit einer Kooperative vor einer Übernahme. Denn jedes Mitglied hat unabhängig von seinem finanziellen Einsatz nur eine Stimme in der Generalversammlung, die die grundsätzlichen Entscheidungen trifft.

Zur Gründung reichen schon drei Mitglieder

Besonders die aktive Mitbestimmung im Unternehmen, die Verteilung der Lasten auf viele Schultern und die soziale Verantwortung beim Wirtschaften macht das Genossenschaftsmodell modern. "Die Menschen wollen mehr selbst gestalten und Verantwortung für regionale Strukturen übernehmen", sagt Asmus Schütt vom Genossenschaftsverband. Hinzu kommen die gesellschaftliche Wertschätzung von kooperativen Unternehmen und der Trend zur Ökonomie des Teilens, so Schütt. Gesetzliche Erleichterungen bei der Gründung von kleinen Genossenschaften im Jahr 2006 haben diesen Trend ebenfalls gefördert. Statt sieben genügen seither drei Mitglieder für den Start der Kooperative. So sind allein seit 2007 über 2000 neue Unternehmen entstanden.
Insgesamt sind im Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband 5514 Genossenschaften zusammengeschlossen, darunter 915 Kreditgenossenschaften. Zudem gibt es noch 2000 Wohnungsbaugenossenschaften, die in einem separaten Verband zusammengeschlossen sind.
Dass Kooperativen die niedrigste Insolvenzrate aller Unternehmensformen in Deutschland haben, trägt ebenfalls zu ihrem guten Ruf mit bei. Denn sie werden vom Genossenschaftsverband in regelmäßigen Abständen auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse und die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung überprüft. So sind die Mitglieder vor wirtschaftlichem Schaden geschützt.

Mitgliedschaft ist nicht völlig frei von Risiken

Dass eine Beteiligung an einer Genossenschaft dennoch nicht ganz risikofrei ist, liegt an der möglichen Nachschusspflicht für Anteile. Bei einer Schieflage des Unternehmens kann das zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Allerdings wird diese Regelung meist in der Satzung ausgeschlossen und so auf die Höhe der Einlage beschränkt.
So ist es auch bei den Genossenschaftsbanken geregelt, die mit 18,4 Millionen Mitgliedern, den Großteil der 22 Millionen Genossen in Deutschland stellen. Während die meisten genossenschaftlichen Banken die Bankenkrise 2008 problemlos überstanden, bekam das größte Kreditinstitut dieser Art, die Deutsche Apotheker- und Ärzte-Bank, Probleme. Sie konnte ihren zusätzlichen Finanzbedarf beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) decken und musste keine staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen. Heute steht sie wieder gut da.  

Achtung, wenn der Schein trügt

Auf ein Risiko weist Asmus Schütt ausdrücklich hin. Nicht alle Unternehmen, die angeben, eine Genossenschaft zu sein, sind Genossenschaften. Sie versuchen das positive Image der kooperativen Unternehmen auszunutzen, um das Kapital potentieller Anleger mit enormen Renditeversprechen einzusammeln. Dies sollte ein Warnsignal sein, denn Kooperativen dienen nicht als Geldanlage. Deshalb empfiehlt Schütt immer die Satzung zu überprüfen, dort muss der Genossenschaftsverband genannt sein, der das Unternehmen prüft. Zudem sollte der Förderzweck des Unternehmens klar ersichtlich sein.
Ist das alles überprüft, steht einer Mitgliedschaft nichts mehr im Weg.
Quelle: n-tv.de

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